In der Chronik wurde mehrfach dargelegt, dass die Initiatoren der MP ursprünglich die Entwicklung und Anwendung der Mikroelektronik in der DDR mit einer mehr wissenschaftlich-technischen Publikation unterstützend begleiten wollten. Mit dem zeitgleichen Aufkommen der PCs und Kleincomputer und dem Fehlen einer darauf spezialisierten Publikation in der DDR richteten sich aber auch die Erwartungen von betrieblichen Anwendern und Hobbynutzern auf die Neuerscheinung „MP“. Ihnen konnte die Redaktion zwar wie vorstehend beschrieben optisch und bezüglich der Lesbarkeit entgegenkommen. Aufgrund der viel zu geringen Seitenzahl war es aber bei Weitem nicht möglich, allen Leserwünschen inhaltlich gerecht zu werden - also das breite Spektrum der interessierenden Themen jeweils ausführlich abzuhandeln. Weswegen es zwar immer wieder Briefe unzufriedener Leser gab. Die MP hatte aber dennoch eine für eine DDR-Fachzeitschrift außerordentlich hohe Abonnentenzahl, also zufriedene Leser. Dies änderte sich fast schlagartig mit Öffnung der Westgrenzen 1989/1990: Nun stand den DDR-Bürgern ein viel größeres Zeitschriftensortiment zur Verfügung - auch mit Publikationen, die ihren jeweils speziellen Ansprüchen umfangreicher gerecht werden konnten. Den westdeutschen Verlegern wiederum eröffnete sich ohne eigenes Zutun oder großes Risiko quasi über Nacht ein neuer Absatzmarkt mit unschätzbaren Wettbewerbsvorteilen - da er in kürzester Zeit auch noch mit den ihnen vertrauten (Vertriebs-)Strukturen, Gesetzen und Regelungen der BRD versehen wurde. Ein Beispiel dafür ist der Brief vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e.V. vom 08. 05. 1990 mit dem Angebot an den ostdeutschen Verlag Technik zu Gesprächen „bezüglich eines Pressevertriebssystems in der DDR“. Es sei „notwendig, daß das in der DDR zu schaffende Pressevertriebssytem den selben Grundsätzen wie in der Bundesrepublik und den anderen europäischen Ländern folgt und mit diesem Vertriebssystem kompatibel ist.“ So wie hier ging es in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft mit der “Wiedervereinigung“ nicht um eine gemeinsame, gleichberechtigte Neuordnung der Strukturen von Gesamt-Deutschland, sondern mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des BRD-Grundgesetzes um eine Anpassung, Unterordnung von Ost an bzw. unter West. Für diese Anpassungen sorgten zum Beispiel auch über 30 000 Beamte, die aus den alten Bundesländern in die ostdeutschen Verwaltungen geschickt wurden - überwiegend als Vorgesetzte, versteht sich. Die Direktoren und Leiter der ostdeutschen Betriebe bzw. Verlage hingegen - bisher Produzenten nach planwirtschaftlichen Vorgaben - hatten sich plötzlich ohne jegliche Vorkenntnisse marktwirtschaftlicher Produktionsweisen und bundesdeutscher Regelungen in einem ihnen übergestülpten Markt bzw. Konkurrenzkampf zu behaupten: Gut erkennbar sind die Versuche, die Strukturen des nun kapitalistischen Verlagswesens mitsamt seiner Bürokratie zu durchschauen und sich ihnen anzupassen anhand der Informationen des Verlagsdirektors für die Mitarbeiter auf den Belegschaftsversammlungen in der Zeit der Wende. All dies war allerdings nicht zuletzt eine Folge der von DDR-Bürgern selbst losgetretenen Entwicklung: Während es in den späten 1980er Jahren den Streitern der oppositionellen Gruppen zum Beispiel noch um Reformen einer sozialistischen Gesellschaft ging, erzwangen die Montagsdemonstranten mit ihren Sprechchören erst die Reisefreiheit in den Westen, dann die schnelle Westmark im Osten, dann mit dem hastigen, sich unterordnenden Beitritt zur BRD den kompletten Austausch ihrer sozialistischen Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsform durch die kapitalistische der BRD mit allen Konsequenzen. Den wenigsten dürfte beim Demonstrieren bewusst gewesen sein, dass sie damit auch den eigenen Arbeitsplatz aufs Spiel setzten. Ein Kapitel für sich ist dabei die Rolle der schon angesprochenen Treuhandanstalt, die in dem ungleichen Kampf um das volkseigene Vermögen das jeweils letzte Wort hatte - allerdings auf Weisungen der (alt-) bundesdeutschen Regierung. Also bei der sogenannten Privatisierung der bisher volkseigenen Betriebe/Verlage - siehe dazu z. B. die erwähnten Ausführungen von Maritta Tkalec und Christoph Links. Die Ostdeutschen waren es ja gewohnt, im täglichen Leben oft nur mit „Vitamin B“ (Beziehungen) zum Zuge zu kommen - seien es farbige Fliesen in der Baustoffversorgung, Ersatzteile für ihren Trabi oder eine Wohnung bei der Kommunalen Wohnungsverwaltung. Die meisten verfügten über mehr oder weniger Vitamin B. Aber nicht über das jetzt gefragte „Vitamin C“ (Connections). Dies hatten die westdeutschen Unternehmer/Verleger und setzten es bei den fast durchweg westdeutschen Treuhand-Führungskräften ein, um die ostdeutschen Betriebe und Verlage preisgünstig zugesprochen zu bekommen - von den ungleichen finanziellen Voraussetzungen und Möglichkeiten ganz zu schweigen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Literatur und Dokumentationen zu den teils fragwürdigen Vorgängen und Begleiterscheinungen, wie die Treuhandanstalt ihrer Aufgabe, „die Volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft zu privatisieren“ nachkam.Im Großen und Ganzen zeigen die Erkenntnisse: Der Verlag Technik und die Zeitschrift Mikroprozessortechnik sind nur typische Beispiele einer Vielzahl ähnlicher Entwicklungen und ihres Endes nach dem Beitritt der DDR zur BRD. |
Hans Weiß
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